Gedanken zur Passionszeit: Weg damit!

Von der Suche nach dem Wesentlichen in der Passionszeit.

Marie Kondo räumt auf. Das wäre nichts Be­sonderes. Aber die Japanerin räumt bei fremden Menschen auf.

Wenn sie ein neues Haus betritt, wird sie von den Bewohnern des Chaos sehnsüchtig er­wartet. Sie umarmen einander, als wären sie Freunde aus der Schulzeit, die sich lange nicht gesehen haben, dabei begegnen sie sich gerade zum ersten mal. Und dann wer­fen alle gemeinsam einen ersten Blick in überfüllte Kleiderschränke, steigen über Schuhberge, Bauklötze und alles, was sonst noch herumliegt. Am größten ist die Scham der Bewohnerinnen und Bewohner beim Blick in die dunklen Ecken, unter Betten, in die Keller.

Und dann wird es ruhig. Die zierliche Frau Haus. Spirituell sieht das aus und rührt die Bewohner gelegentlich zu Tränen, die das Haus doch mögen, aber es trotzdem mit lau­ter Kram vollstopfen, den sie dann nicht be­nutzen.

Hunderttausende schauen auf Netflix dabei zu, wenn Kondo mit leiser Stimme und sanf­ten Bewegungen an die Arbeit geht: Alle Kleider werden aufs Bett gelegt. Bleiben darf nur, was beim Berühren Freude auslöst. „Does it spark joy?“ fragt Kondo immer wie­ der. – Der Rest: Weg damit.

Minimalismus ist im Trend. Marie Kondo bie­tet die Methode dazu. Die Hoffnung der Fa­milien ist es, Zeit für das Wesentliche zu ha­ben. Fragt man Leute, was das Wesentliche ist, sagen die meisten: Zeit mit der Familie, mit Freunden, für Hobbys.

Die Suche nach dem Wesentlichen ist nicht neu:

Als sich die Kirche im 4. Jahrhundert eta­blierte, entstand die Passionszeit. 40 Tage Verzicht erinnerten an die Zeit, die Jesus vor seiner Taufe in der Wüste verbrachte. Das Wesentliche, wonach Menschen damals suchten, war die Gnade Gottes. Lange hat­ten Menschen den Eindruck, Gott durch Ver­zicht gnädig stimmen zu können.

Luther hinterfragte das tausend Jahre später. Er war überzeugt: Gottes Liebe kann man sich nicht verdienen. Gottes Liebe ist da.
Im Kirchenjahr ist die Passionszeit trotzdem geblieben, nur der Fokus hat sich verscho­ben: Im Zentrum steht nicht die Frage, was wir tun können, um Gott gnädig zu stim­men, sondern was Gott für uns schon getan hat:

Die Passionsgeschichte erzählt davon, dass Gott dem Schmerz nicht ausweicht, er bleibt in aller Freude, allem Schmerz, in al­ lem Chaos, dass das Leben bietet, bei uns. Hinter der Idee des Fastens in der Passions­ zeit steht also nicht der Wunsch nach Selbst­optimierung (endlich so ordentlich werden wie Marie Kondo, dünner oder achtsamer sein oder irgendwas anderes), sondern das Bestreben, innerlich frei zu werden von dem Druck des Alltags. Nicht mehr besser werden müssen, sondern sich die Zeit nehmen, daran zu denken: Bei Gott sind wir schon genug.

In diesem Sinne bedeutet Fasten, Gott ge­genüber eine fragende Haltung einnehmen und hören, was Er zu sagen hat.

Im Verzicht der Fastenzeit lebt die Erinne­rung daran, dass wir es nicht immer allein und selber am besten wissen, was gut für uns ist. Manchmal ist es nur ein kleiner Schritt zur Seite und es zeigt sich auf einmal etwas anderes, Unerwartetes, lange Überse­henes.

Wenn das gelingt, dann lassen wir bekanntes und umrissenes Gelände hinter uns und fas­ten auf einen ständig weiter werdenden Ho­rizont hin. Dann finden wir danach den Weg in die Gewohnheit vielleicht gar nicht wieder zurück – und gehen einen neuen. Dann leuchtet vom Ende der Fastenzeit her Ostern auf, die Auferstehung, das Leben nach dem Tod.

In den Gottesdiensten der Passionszeit und an Ostern gehen wir diesen Fragen nach.

IHRE PASTORIN CLAUDIA MAIER

 

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